Atemwegserkrankungen bei Kleinkindern auf dem Vormarsch
Im Schatten der Corona-Pandemie treten in diesem Sommer ungewöhnlich viele RSV-Fälle bei Kindern auf. Vor allem unter zweijährige sind betroffen.
Das respiratorische Synzytial-Virus (RSV) löst eine Atemwegsinfektion aus, die insbesondere bei Kleinkindern aufgrund von Atemnot eine Krankenhausaufnahme erforderlich machen kann. Üblicherweise kursieren diese Infektionen hierzulande zwischen November und März. Nachdem es in der Schweiz, Frankreich, Großbritannien und den USA bereits zu ungewöhnlich vielen RSV-bedingten Klinikeinweisungen gekommen war, sind die Zahlen allerdings auch in Deutschland angestiegen. Das Clinical Virology Network berichtet, dass in einigen Regionen kleinere Ausbrüche verzeichnet wurden und dass die Kurven nach oben zeigen.
Über die Gründe kann nur spekuliert werden. Es mag eine Rolle spielen, dass wegen der Abstandsregeln und der Maskenpflicht in den letzten anderthalb Jahren weniger Infektionswellen übers Land gegangen sind. Die Grippe- und Noroviren bilden jedoch wichtige „Sparringspartner“ für das kindliche Immunsystem. Bleiben sie aus und nehmen die Kontakte später – wie nach der dritten Corona-Welle – deutlich zu, ist die Immunabwehr einem Virensturm ausgesetzt, dem sie in vielen Fällen nicht standhält.
Von der aktuellen RSV-Infektionswelle sind besonders viele Kinder unter zwei Jahren betroffen. „Lebensbedrohlich kann die Infektion vor allem bei vorerkrankten Säuglingen und Frühgeborenen werden. Und auch bei glimpflichem Verlauf erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, weitere Atemwegsinfektionen zu erleiden, aus denen in der Folge Asthma erwachsen kann“, erläutert der in Berlin-Wittenau praktizierende Kinderarzt Kyros Mani. Kommt es zu einer Infektion, ist es wichtig, zu gefährdeten Kindern Distanz zu halten.
Fachverbände plädieren für frühere Immunisierung
Mit gängigen Hygienemaßnahmen lässt sich das Risiko einer RSV-Infektion reduzieren, aber nicht gänzlich ausschließen. Für Risikopatienten steht als wirksame Prophylaxe eine Injektion mit RSV-Antikörpern zur Verfügung, die normalerweise erst in den Wintermonaten verabreicht wird.
Angesichts der aktuellen Lage plädieren aber mehrere pädiatrische und virologische Fachverbände dafür, die Prophylaxe vorzuziehen und schon ab September damit zu beginnen. In einer gemeinsamen Stellungnahme heißt es außerdem: „Die DGPI, GNPI, GPP, DGPK und GfV/DVV empfehlen daher ab sofort, RSV in die Differentialdiagnostik bei Kindern mit Atemwegsinfektionen auch im diesjährigen Sommer einzubeziehen und eine entsprechende Virusdiagnostik aus Atemwegsmaterialien (Rachenabstrich/Rachenspülwasser) zu veranlassen.“