Kinderrechte erhalten einstweilen keinen Verfassungsrang
Die Bundesregierung konnte sich nicht auf die im Koalitionsvertrag vereinbarte Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz einigen. Damit steht die Zukunft dieser überfälligen Initiative in den Sternen.
Die letzten 15 Monate haben gezeigt, dass Kinder hierzulande keine starke Lobby und Rechtsposition haben. Im politischen Pandemie-Management wurden sie zum Spielball, während andere Gruppen ihre Interessen weitaus wirkungsvoller durchsetzen konnten. Damit lieferte die Coronakrise einen erneuten Beleg dafür, dass Kinderrechte strukturell gestärkt werden sollten.
Das war auch zuvor schon weithin unumstritten. Die Große Koalition schrieb sich 2017 das Vorhaben in ihren Kooperationsvertrag, Kinderrechten im Laufe dieser Legislaturperiode zu Verfassungsrang zu verhelfen. Die genaue Ausformulierung eines entsprechenden Grundgesetz-Artikels gestaltete sich indes kompliziert. Bekanntlich werden für eine Grundgesetzänderung Zwei-Drittel-Mehrheiten benötigt, sodass neben den Regierungs- auch Oppositionsparteien mit im Boot sein müssen. Anfang des Jahres aber schien ein Kompromiss zum Greifen nahe. Die Bundesregierung legte folgenden Vorschlag für Artikel 6 des Grundgesetzes vor:
„Die verfassungsmäßigen Rechte der Kinder einschließlich ihres Rechts auf Entwicklung zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten sind zu achten und zu schützen. Das Wohl des Kindes ist angemessen zu berücksichtigen. Der verfassungsrechtliche Anspruch von Kindern auf rechtliches Gehör ist zu wahren. Die Erstverantwortung der Eltern bleibt unberührt.“
Die butterweichen Formulierungen („angemessen zu berücksichtigen“) lassen schon erkennen, dass an diesem Text lange herumgefeilt wurde. Insbesondere die Unionsparteien wollten zuletzt zu eindeutige Rechtsansprüche verhindern.
Schuld sind: die anderen
Nun jedoch ist auch dieser Kompromissvorschlag vom Tisch – ohne dass klar würde, aus welchen Gründen genau. Die SPD sieht die Schuld für das Scheitern der Initiative bei Union und Opposition, während die Union die SPD verantwortlich macht. In dieser Legislaturperiode und mit dieser Bundesregierung, so viel ist klar, wird das Vorhaben nicht mehr umgesetzt.
Groß ist nun die Enttäuschung bei Kinderrechts-Aktivisten und -Organisationen. Auch die Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendmedizin (DAKJ), der Dachverband der kinder- und jugendmedizinischen Fachgesellschaften, übt Kritik: „Es wäre gerade jetzt wichtig gewesen, ein Signal an die nachfolgende Generation zu richten, dass sie auf Politik und Gesellschaft vertrauen kann, wenn es um die angemessene Würdigung ihrer Belange geht“, bedauert DAKJ-Generalsekretär Prof. Dr. Hans-Iko Huppertz. Das Aktionsbündnis Kinderrechte, zu dem sich UNICEF Deutschland, das Deutsche Kinderhilfswerk, die Deutsche Liga für das Kind und der Kinderschutzbund zusammengeschlossen haben, spricht von einem „herben Dämpfer für die Kinder, Jugendlichen und Familien unseres Landes, die in den vergangenen Monaten ohnehin schon wenig Unterstützung erfahren haben“.